Zur Theorie

Salzburger Arbeitskreis für Psychoanalyse

Kurzum: es gibt auch in unserer Disziplin so etwas wie Fortschritt, aber das ist kein geradliniger Prozess. Wer mit neuen Ideen hervortritt, kann nicht auf Zustimmung hoffen, wenn diese Ideen außerhalb des von der Mehrheit oder von den wichtigen Leuten Akzeptierten liegen. Ideen konsensfähig zu machen, heißt gleichzeitig, ihnen die Würde von Wahrheit zu verleihen. Wahrheit muss in unserer Disziplin, wie in vielen anderen geisteswissenschaftlichen und in der Kunst in sozialen Diskursen ausgehandelt werden und kann sich nicht auf eine Deckungsgleichheit mit irgendwelchen nicht verhandelbaren Gegebenheiten berufen. Weil ihnen deshalb jene eherne Qualität mangelt, die die eine Wahrheit auszeichnet, sie also weich sind, müssen sich unsere Wahrheiten die Frage nach ihrer moralischen Qualität gefallen lassen und es ist unvermeidlich, dass sich die Frage nach ihrer Moral überdies noch mit derjenigen nach ihrer Ästhetik verbindet. Das Wahre unserer Theorien ist also nicht, wie das wünschbar und in der Wissenschaft scheinbar gegeben ist, unabhängig von ihrem Guten und Schönen.
Piere Passett, Die Zweideutigkeit des Analytikerwerdens. Werkblatt Nr. 63

 

Theorie definiert sich auch als systematisches, nach bestimmten Prinzipien geordnetes Beobachten und Erklären phänomenaler Realität. Sie schafft damit Erkenntnisse, welche wiederum als Instrumente zur Ordnung und Bewältigung von Praxis eingesetzt werden können. Vielfach ermöglicht sie dabei eine Erhöhung der Anschaulichkeit ihres Gegenstandes um den Preis einer Reduktion seiner Komplexität. Die Freudsche Theoriebildung kann und möchte diesen Anspruch jedoch nicht in jederlei Hinsicht erfüllen. Zentrale psychoanalytische Konzepte wie etwa jenes des Unbewussten entziehen sich naturgemäß der direkten Anschaulichkeit, manifestieren sie sich doch vorwiegend in ihren Abkömmlingen bzw. Wirkungsweisen. Andererseits basieren Freuds theoretische Aussagen, dem von ihm formulierten Junktim zwischen Heilen und Forschen folgend, weitgehend auf klinischen Erfahrungen und entwickelten sich so, von der psychologischen Erfassung pathologischer Manifestationen seiner Patienten ausgehend, zu einer umfassenden Theorie der menschlichen Psyche. Psychoanalytische Forschung hat im Lauf ihrer Geschichte darüber hinaus zahlreiche Erkenntnisse und Positionen in den Bereichen von Religions- und Gesellschaftskritik, Kulturtheorie, sowie Kunst und Literatur erschlossen. Eine umfangreiche internationale Publikationstätigkeit zeugt davon und bildet damit das breite Spektrum psychoanalytischer Wissenschaft und ihrer verzweigten, teils auch kontroversen diskursiven Entwicklungen ab.